Exkurs: Die portugiesische Geheimpolizei PVDE - PIDE – DGS

Im Jahre 1933 gründete der „Estado Novo“ unter Antonio de Oliveira Salazar (1889-1970) die Geheimpolizei Policia de Vigilancia e Defesa do Estado (PVDE). „Vorformen“ reichen nach Angaben des Historikers A. H. de Oliveira Marques bis in die Zeit vor 1926 zurück. Die PVDE wurde nach dem Vorbild der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Deutschland organisiert. Außerdem sollen PVDE-Mitarbeiter in Deutschland geschult worden sein. Bekannt ist zudem, dass während des Zweiten Weltkriegs Kontakte zum damaligen PVDE-Chef Agostinho Lourenco bestanden und einige portugiesische Agenten auch für die Deutschen arbeiteten. (1)

Über die PVDE schreibt der Historiker Patrik von zur Mühlen: „Zu ihren Aufgaben gehörten die Funktionen einer Kriminalpolizei, der Internationalen Polizei, Spionage, Spionageabwehr, Ein- und Auswanderungsfragen, Grenzüberwachung, Staatssicherheit und Gefängnisverwaltung.(…) Sie verfügte über ein umfassendes Repressionsorgan, mit dem die Kommunistische Partei (…) sowie kritische Intellektuelle zum Schweigen gebracht werden konnten. Verhaftungen, Vernehmungen, Folterungen, Verbannungen und Deportationen in das überseeische Straflager Tarrafal auf den Kapverdischen Inseln, Einschüchterungen, die Entlassungen unbequemer Elemente und vieles mehr waren die Mittel, mit denen das Regime sich gegen Proteste, Streiks, offene Kritik und politischen Boykott absicherte.“ (2)

Andere Autoren stellen fest, dass sich die Geheimpolizei seit ihrer Gründung „zu einem Staat im Staate, mit eigenen Konzentrationslagern, zum Beispiel dem berüchtigten Tarrafal auf den Kapverdischen Inseln“, entwickelte. (3)

1945 wurde die PVDE in Policia International e de Defesa do Estado (PIDE) umbenannt (Dekret Nummer 35042 vom 20. Oktober 1945). Sie war in Portugal die „gefürchteste Institution“ und „zu schonungsloser Willkür jederzeit ermächtigt“. (4) Sie nahm Durchsuchungen und Verhaftungen bei Menschen vor, die sie als Gefahr für den Staat ansah. Außerdem konnte sie ihre Opfer in eigenen Gefängnissen einsperren. Rechtliche Grundlage für die oft langjährigen Inhaftierungen waren die 1956 erlassenen „Medidas de Seguranca“ (Sicherheitsmaßnahmen). Sie ermöglichten es dem Justizministerium auf Vorschlag der Polizei, Menschen ins Gefängnis zu stecken, die als „Gefahr für die Gesellschaft“ eingestuft wurden. Dabei war es möglich, die Haft von sechs Monaten auf bis zu drei Jahre auszudehnen und entsprechend weiter zu verlängern. (5) „Handelte es sich bei den Ruhestörern um bekannte Persönlichkeiten und musste befürchtet werden, dass vielleicht deren Anhänger oder die öffentliche Meinung im Ausland an brutalen Maßregelungen Anstoß nehmen, dann wurden sie auf die Kapverdischen Inseln verbannt.“ (6) Andere wurden nach Timor oder auf die zentralafrikanischen Inseln Sao Tome e Principe deportiert - wie der spätere Sozialistenführer, Regierungschef und Staatspräsident Mario Soares.

Eine präzise Beschreibung der Aktivitäten lieferte Oliveira Marques: „Nach Art der Inquisition erlangte die Geheimpolizei unter dem Salazar-Regime in allen Bereichen des nationalen Lebens eine solche Machtposition, dass sie die Autorität des Staates - einschließlich der Streitkräfte - auf eine ernste Probe stellte und sich nach und nach zu einem Staat im Staate entwickelte. Wie die Inquisition musste sie ihre Existenz und ihre weit reichenden Befugnisse durch die Erfindung‘ oder Übertreibung von Bedrohungen für die Sicherheit des Regimes und die Fabrikation‘ von Kommunisten und anderen gefährlichen Gegnern des Estado Novo rechtfertigen. (…) Das Beharren der PIDE auf den ausgeklügeltsten Foltermethoden und anderen körperlichen und psychischen Repressionsformen, der Einsatz von düsteren Zivilgefängnissen und Konzentrationslagern - das berühmteste befand sich von 1936 bis 1956 auf der Kapverden-Insel Santiago, und sein Name Tarrafal wurde zum Symbol für das Ausmaß der politischen Verfolgung - das gewaltsame Eindringen in Privatwohnungen und die Beschlagname von Büchern und Dokumenten aller Art, die Verletzung des Briefgeheimnisses, die Allgegenwart der politischen Überwachung, all dies festigte die berühmte ,Ordnung auf den Straßen‘, auf die Salazar so stolz war. Die Geheimpolizei brachte jahrelang Hunderte von Personen um und warf viele Tausende in ihre Gefängnisse.“ (7)

Horst Bieber nannte dazu entsprechende Zahlen: „Allein von 1960 bis 1965 wurden in 155 politischen Prozessen 820 Verurteilungen zu 2.283 Jahren Gefängnis und Zuchthaus ausgesprochen.“ (8) Angaben über die Zahl der politischen Häftlinge liegen nicht vor, für das Jahr 1970 schätzte der Europarat ihre Zahl auf etwa 180. Insgesamt dürften während der Zeit des „Estado Novo“ aber mehrere tausend Menschen eingesperrt gewesen sein.

Zusammenfassend kann festgestellt werden: „Eine gut organisierte Geheimpolizei geht gnadenlos gegen die Opposition vor.“ (9)

Aus DDR-Sicht las sich die Beschreibung der PIDE so: „Als (…) wichtiges terroristisches Instrument wurde die berüchtigte faschistische politische Geheimpolizei PIDE auch in den Kolonien eingesetzt. (…) Die demokratischen Rechte der Rede, Presse, Versammlung und Organisation wurden vorenthalten, sogar bürgerliche Presseerzeugnisse aus anderen imperialistischen Ländern unterlagen vor ihrer Verbreitung der Zensur. Die polizeiliche Überwachung war allgegenwärtig, und die PIDE Agenten nahmen die geringste Äußerung antikolonialer Einstellung zum Anlass für die Verfolgung als Staatsverbrechen.“ (10)

Die PIDE unter ihrem Chef Silva Pais verfügte über einen Apparat von 10.000 Mitarbeitern und unterhielt ein „umfangreiches Informanten- und Spitzelnetz in allen Schichten der Bevölkerung“, das „die rücksichtslose, umfassende polizeistaatliche Überwachung des öffentlichen und privaten Lebens“ gewährleistete. (11) Die Polizei besaß weit reichende Sondervollmachten und

konnte unter anderem Verhaftungen ohne richterlichen Haftbefehl vornehmen. Über die Foltermethoden der PIDE schrieb Egon Larsen, eine „besonders empfohlene“ Methode zur Erpressung von angeblichen Geständnissen sei die so genannte Denkmalsfolter gewesen. Dabei seien die Gefangenen gezwungen worden, dauernd zu stehen. Hätten sie sich gesetzt oder seien umgefallen, habe man sie geschlagen. Auch hätten die Gefangenen nie länger als zehn Minuten schlafen können, so dass einige von ihnen fast oder völlig den Verstand verloren hätten. Andere seien über mehrere Monate oder sogar Jahre in kleinen Isolierzellen bei völliger Dunkelheit eingesperrt gewesen. Während der 1930er Jahre seien Häftlinge von der PVDE brutal geschlagen oder mit Elektroschocks gequält worden. (12)

„Dass die PIDE in der portugiesischen Gesellschaft Angst und Schrecken hervorrief und als staatliches Terrorinstrument äußerst gefürchtet war, wurde außerhalb des Landes lange Zeit nicht wahrgenommen. Erst gegen Ende der 60er Jahre wurde einer breiteren Öffentlichkeit die zwielichtige Rolle von PIDE-Agenten etwa im Verlauf der Kolonialkriege bewusst.“ (13)

Der Nachfolger Salazars, Marcello Caetano, wandelte die PIDE im November 1969 in die Direção Geral de Seguranca (DGS) um. Dahinter verbarg sich jedoch nur eine Namensänderung, die Akten wurden der neuen Organisation übergeben, und auch die Mitarbeiter blieben im Amt. Lediglich die Verantwortung innerhalb der Regierung änderte sich: Die PIDE unterstand Salazar, die DGS dem Innenminister. Zudem wurde das bisherige Spitzelnetz in Portugal und den Kolonien weiter genutzt. Es gab weiterhin Verhaftungen und Verbannungen. (14) Dies betraf im Frühjahr 1970 auch 15 Studenten aus Angola, die für je acht Jahre nach Kap Verde verbannt wurden. (15)

1971 kamen nach Angaben von Richard Lobban und Joshua Forrest 105
PIDE-Agenten nach Kap Verde, um dort die Strukturen der Unabhängigkeitsbewegung PAIGC zu infiltrieren und aufzubrechen. (16)

In einem Bericht der UN-Menschenrechtskommission zur Situation der afrikanischen Gebiete unter portugiesischer Herrschaft vom 1. Februar 1973 heißt es unter anderem: „Gefangenengenommene Freiheitskämpfer und ihre Familien werden brutalen, unmenschlichen und grausamen Foltermethoden unterworfen Z. B.: die Gefangenen werden verstümmelt und gezwungen, ihre eigenen Körperteile zu essen. (…) Politische Gefangene sind noch Schlimmerem ausgesetzt. Die Gefängnisse sind immer noch sehr primitiv. Einzelhaft in einem äußerst engen Raum wird sehr oft angewandt. Die Verpflegung ist höchst unzureichend. Gefangene Untergrundkämpfer erfahren eine noch schlechtere Behandlung. Sie erhalten kein Gerichtsverfahren und werden nach unaussprechlichen Foltern standrechtlich erschossen. (…) In einigen Fällen wurden Gefangene, die einer Befreiungsbewegung angehören, zu Gerichtsverfahren nach Portugal gebracht, einige auch auf Inseln, die fern von Mozambique oder Angola liegen, z. B. die Kapverdischen Inseln. Diese Häftlinge erfahren unbeschreibliche Leiden und Qualen in überfüllten Gefängnissen, die die elementarsten Bedürfnisse unberücksichtigt lassen.“

Gleichzeitig gab die UN-Menschenrechtskommission unter anderem folgende Empfehlungen ab: „Die Gruppe empfiehlt, dass Afrikaner in Angola, Mozambique und Guinea (Bissau) nicht mehr aus ihrer Heimat vertrieben werden. (…). Die Gruppe empfiehlt, politischen Gefangenen und Häftlingen eine menschliche Behandlung angedeihen zu lassen und ihnen ein faires Gerichtsverfahren im Einklang mit der Charta der Menschenrechte zuzusichern. (…) Die Gruppe empfiehlt, auf Portugal internationalen Druck auszuüben, damit gefangene Freiheitskämpfer als Kriegsgefangene im Sinne der Genfer Konvention behandelt werden.(…) Die Gruppe empfiehlt, dass die Regierung von Portugal Delegierten des ICRC (Internationales Komitee vom Roten Kreuz) die tatsächlichen Zustände in Gefangenenlagern und Gefängnissen zeigt, in denen Gefangene und Freiheitskämpfern in afrikanischen Gebieten unter portugiesischer Herrschaft inhaftiert sind.“ (17)

In Portugal unterhielt die Geheimpolizei Gefängnisse in Porto, im Fort São Bruno in Caxias (nahe Lissabon in Richtung Cascais) sowie in der Festung (Fortaleza) von Peniche (70 Kilometer nordwestlich von Lissabon). Der bekannteste Häftling dort war der spätere KP Generalsekretär Alvaro Cunhal, dem nach elf Jahren Haft 1960 die Flucht aus Peniche gelang. Außerdem wurden auch Häftlinge in das Aljube-Gefängnis in Lissabon bzw. in Angra do Heroismo auf der Azoren-Insel Terceira eingeliefert. In Süd-Angola wurden Häftlinge in das „Umerziehungslager“ São Nicolau (Centro de Recuperação - „Erholungslager“) etwa 150 Kilometer von Mocamedes entfernt eingesperrt. Dort saßen 1970 angeblich 1.250 Afrikaner - zum Teil mit ihren Familien - unter militärischer Aufsicht ein. (18)

In Mocambique existierte unter anderem das berüchtigte Lager Machava (Campo Prisional da Machava oder Campo de Recuperação da Machava) etwa sieben Kilometer von Lourenco Marques (jetzt Maputo) entfernt. Auch heute existieren dort noch ein Zivil- und ein Hochsicherheitsgefängnis. In Lissabon befand sich das Polizei-Hauptquartier in der Rua Antonio Maria Cardoso. Nach der „Nelkenrevolution“ am 25. April 1974 wurde die DGS aufgelöst. Alle politischen Gefangenen wurden amnestiert und konnten die Gefängnisse verlassen. Die Mitarbeiter der PIDE/DGS tauchten zum größten Teil unter, nur ganz wenige wurden später in Gerichtsverfahren verurteilt. (19)
 

Anmerkungen:

1)Patrik von zur Mühlen: Fluchtweg Spanien-Portugal, Die deutsche Emigration und der Exodus aus Europa 1933-1945, Bonn 1992, S. 138ff.
2) ebd. S. 121
3)Beate Schümann, Anton-Peter Müller: Portugal, ein politisches Reisebuch, Hamburg 1986, S. 133
4) Rudi Maslowski: Der Skandal Portugal, Land ohne Menschenrechte, München 1971, S. 23
5) Oliveira Marques, S. 582 f. Diese Regel wurde angeblich im November 1972 wieder abgeschafft (Frankfurter Rundschau vom 18. November 1972).
6)Rudi Maslowski, a.a.O., S. 24 f.
7) A.H. de Oliveira Marques: Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreiches, Stuttgart 2001, S. 582
8) Horst Bieber: Portugal, Hannover 1975, S. 104
9) Werner Tobias: Portugal, Köln 1989, S. 21
10)Geschichte Afrikas, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Autorenkollektiv unter Leitung von Christian Mährdel, Berlin/DDR 1983, S. 152
11)Dietrich Briesemeister: Der Estado Novo des Antonio de Oliveira Salazar, in: Dietrich Briesemeister/Axel Schöneberger (Hrsg.): Portugal heute, Politik, Wirtschaft, Kultur, Frankfurt 1997, S. 174 f.
12)Angaben nach Peter Larsen: Im Namen der Menschenrechte, Die Geschichte von amnesty international, München 1983, S. 43-45
13)Walter L. Bernecker, Horst Pietschmann: Geschichte Portugals, München 2001, S. 115
14)Eine ausführliche Analyse zur Situation in Portugal vor der Nelkenrevolution von Hermann Deml: Portugals Staatspolizei fühlt sich verunsichert, Auf offener Straße werden katholische Demonstranten gegen den Kolonialkrieg verhaftet und verschleppt, in: Frankfurter Rundschau vom 3. Februar 1973
15)Rudi Maslowski, a.a.O., S. 140 ff.
16)Richard Lobban/Joshua Forrest: Historical Dictionary of the Republic of Guinea-Bissau, Metuchen (USA) und London 1988, S. 108 f.
17) zitiert nach Entwicklungspolitik, Materialien Nr. 38, S. 29 f.; nachgedruckt in: Portugal und seine ehemaligen Kolonien, Materialien für die Einführungsfreizeit des Evangelischen Studienwerks vom 20. bis 26. März 1975, Haus Villigst
18)Rudi Maslowski, a.a.O., S. 205. Ergänzend schreibt der Autor: „Die ‚subversiveren‘ Afrikaner werden (…) auf die Kapverdischen Inseln verbannt. (…) Bei den Angolanern ist die portugiesische CIA, der ‚Serviços de Centralização e Coordenação de Informações de Angola‘ (SCCIA), der nach dem Aufstand von 1961 aufgebaut wurde, genauso gefürchtet wie die PIDE.“ Ähnliche staatliche Nachrichtendienste gab es ab den 1960er Jahren auch in Mocambique (SCCIM) und Portugiesisch-Guinea (SCCIG). Über ihre Rolle und Arbeitsweise ist bisher nichts bekannt. Es ist aber zu vermuten, dass diese Organisationen in den jeweiligen Kolonien eng mit der PIDE/DGS zusammengearbeitet haben.
19)siehe Länderartikel zu Portugal, in: Amnesty International: Jahresbericht 1978, Baden-Baden 1978, S. 428 ff.



Eine umfangreiche - portugiesischsprachige - Bibliografie zur Geschichte von PVDE, PIDE und DGS bietet der portugiesische Nachrichtendienst Serviço de Informações de Segurança (SIS) im Internet unter:

Para Saber Mais I
Para Saber Mais II

Dokumente der Geheimpolizei (auch zu Tarrafal) wurden vom Nationalarchiv in Lissabon (Instituto dos Arquivos Nacionais) ins Internet gestellt unter iantt.pt.

Mein Dank gilt Prof. Dr. Michael Scotti-Rosin (Mainz) für die freundliche Ausleihe zahlreicher hier verwendeter Bücher und Artikel.

Hier nicht verwendete Literatur in portugiesischer Sprache:

1)Cândido de Oliveira: Tarrafal. O pântano da morte, Lissabon 1974 2)José Correia Pires: Memórias de um prisioneiro do Tarrafal, Lissabon 1975
3)Manuel Francisco Rodrigues: Tarrafal, Aldeia da morte, Porto 1975
4)Pedro Soares: Tarrafal, Campo da morte lenta, Lissabon 1975
5)Joaquim Ribeiro: No Tarrafal, prisioneiro, Lissabon 1976
6)Manuel Firmo: Nas trevas da longa noite. Da Guerra de Espanha ao Campo do Tarrafal, Lissabon 1978
7)F. de Sorsa (Hrsg.): Tarrafal Testemunhos, Lissabon 1978
8)Gilberto de Oliveira: Memoria viva do Tarrafal, Lissabon 1987
9)Dalila Cabrita Mateus: A PIDE/DGS na Guerra Colonial (1961-1974),
Edições Terramar, 2004
10)Dossier Tarrafal, Coleccao Resistencia, Lissabon 2006
11)José Manuel Soares Tavares: O Campo de Concentracao do Tarrafal (1936-1954), Edições Colibri 2006
Arne Lund
28.10.2007