Warum besteht ein Schüleraustausch zwischen dem Gymnasium Farmsen und den Kapverdischen Inseln?

Warum macht eigentlich eine Hamburger Schule einen Schüleraustausch mit einem kapverdischen Liceu? Wir lernen hier weder Portugiesisch noch scheinen die Kapverdischen Inseln von größerem globalen Interesse zu sein, weiß doch bestimmt die Hälfte der deutschen Bevölkerung nicht einmal genau, wo diese Inselgruppe geographisch liegt. (Ich habe bis vor wenigen Wochen auch zu dieser Gruppe gehört.)

Sie sind die südlichste der vier nordafrikanischen Inselgruppen Azoren, Madeira, Kanaren und eben die Kapverden. Es sind 15 Inseln vulkanischen Ursprungs, von denen neun bewohnt und sechs unbewohnt sind, hufeisenförmig angeordnet, ca. 450 km westlich vor der Küste Senegals und 1.500 km südlich von den Kanaren.

Welches ist nun das Motiv für ein solches Projekt? Der Spaß und die Freude unterwegs zu sein? Für mich wäre das Grund genug. Doch Spaß und Freude und Schule? Ich bin da misstrauisch. Es wird bestimmt noch einen „richtigen“ Grund dafür geben.

Bis vor wenigen Jahren gehörten die Kapverden zur Gruppe der unterentwickelten Länder. Heute erfährt das Land auf internationalem Parkett Respekt und Anerkennung aufgrund von einer soliden Regierung, Wirtschaftswachstum, Ausbau des Gesundheitswesens, Förderung des Bildungswesens. Jetzt, so erklärte der kapverdische Ministerpräsident José Maria Neves, schließt das kleine Land mit der strategisch günstigen geographischen Lage im mittleren Atlantik selbst einen NATO-Beitritt nicht aus. Zu der günstigen geographischen Lage später.

Doch nun zu den beiden wichtigen Punkten Ausbau und Förderung des Bildungs- und Gesundheitswesens. Hier spielt das Engagement des Gymnasium Farmsen ihre Rolle:

1. Jeder Austausch mit Menschen anderer Kulturen erweitert den Horizont, und bei jeder Reise erfährt man viel von Land und Leuten, man sieht mit eigenen Augen, was dort wächst, wie die Menschen wohnen. Man schmeckt ihr Essen, man fühlt ihr anderes Klima auf der Haut, man hört, wie sie sprechen und welche Musik sie bevorzugen. Das gilt für beide Seiten.

2. Eine kapverdische Studentin konnte hier in Deutschland eine Ausbildung zur Physiotherapeutin durchlaufen, und so einen kleinen Beitrag für das antike kapverdische Gesundheitssystem leisten.

3. Unsere Schule macht mit beim Europäisch-Kapverdischer Freundeskreis e. V., d. h. gespendete Gelder werden auf den Kapverden für gezielte Projekte zur Verfügung gestellt.

Ich stelle also fest, dass unsere Schule durchaus „richtige“ und wichtige Gründe für diesen Kontakt hat.

Warum sind die Kapverden ein Entwicklungsland?

Es gibt verschiedene Gründe:

1. Das Klima.

Die Kapverden gehören zur Sahelzone, dem Gebiet, in dem die Niederschläge seit den 70er Jahren kontinuierlich gesunken sind. Die Niederschlagsmenge ist gering: 200 bis max. 1.000 mm/m2. Und selbst diese geringen Niederschläge können durch die fortschreitende Erosion kaum genutzt werden. Wenn es regnet, kann der ausgetrocknete Boden das Wasser kaum aufnehmen, und die Felder spülen einfach weg. Durch die gesamte Geschichte der Kapverden ziehen sich Dürreperioden mit darauffolgenden Hungersnöten, denen zum Teil Tausende Menschen erlagen. Auch fällt der Regen nicht auf allen Inseln und nicht jedes Jahr, so dass einige Inseln wirklich unbewohnbar sind.

2. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen.

Die Kapverden haben weder Bodenschätze noch viel bebaubares Land, so dass sie keine Landwirtschaft aufbauen können, die sie voll versorgt. Nur 10 % der Landoberfläche sind landwirtschaftlich nutzbar. 80 – 90 % der Lebensmittel müssen eingeführt werden. Kommen dann noch Dürrezeiten hinzu, sind die Auswirkungen auf die Wirtschaft sofort drastisch spürbar. Es gibt auch wenig Möglichkeiten für wirtschaftliche Entwicklung in der verarbeitenden Industrie – das sind hauptsächlich Rum und Fisch - weil die Energie- und Transportkosten zu hoch sind.

3. Die strategisch günstige geographische Lage, von der die Kapverden selbst am wenigsten profitieren. Zuerst brauchten die Segelschiffe, die die westafrikanische Küste erforschten oder die nach Südamerika segeln wollten – oft mit Sklaven an Bord - sie als Zwischenstopp. Dampfschiffe nutzten sie zum Auffüllen ihrer Kohlevorräte. Auf dieser Route wurde auch später das erste transatlantische Kabel für Telefongespräche zwischen Europa, Südafrika und Südamerika gelegt. Mit den Flugzeugen wurden die Kapverden dann Zwischenlandestopp zum Auftanken, zum Beispiel für die South Africa Airlines, die auf dem afrikanischen Kontinent wegen der südafrikanischen Rassenpolitik nirgends landen durfte. Die Kapverden wurden also eher benutzt als dass sie Geschäftspartner gewesen wären.

4. Ihre Geschichte.

Der Portugiese Aloisio Cadamosto entdeckte 1456 die kapverdischen Inseln. Weil sie nun geographisch so günstig liegen, hat der portugiesischen König einige dieser Inseln als Lehen vergeben, damit sie schnell besiedelt würden. Sie waren zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung unbewohnt. Das bedeutet, es wurde Land besiedelt, auf dem die Lebensbedingungen für Menschen ungünstig waren. So wurden die Kapverden die erste europäische Kolonie in Übersee und Umschlagplatz für den Sklavenhandel, der auf der Insel Santiago abgewickelt wurde. Die Sklaven wurden an der westafrikanischen Küste gekauft und von dem heutigen Cidade Velha nach Brasilien, zu den westindischen Inseln, zur iberischen Halbinsel (also Spanien, Portugal) und nach Nordamerika verschifft.
Die Kolonialmacht Portugal geriet 1928 unter eine faschistische Diktatur. Die Kapverden waren plötzlich für Portugal uninteressant und sie wurden vernachlässigt. So verarmte sie kapverdische Bevölkerung. Zusammen mit Dürrekatastrophen und Hunger gingen dann viele Kapverdianer ins Exil. Die Auswirkungen davon sind noch immer sichtbar: der größte Teil der kapverdischen Bevölkerung lebt im Ausland: 700.000 gegenüber knapp 400.000, die noch im Land leben.

Das hört sich alles furchtbar frustrierend an. Doch ich finde, dass es einen Grund gibt, der Mut macht: Das zunehmende internationale Interesse.

Die ausgewanderten Kapverdianer, die ihre Familien zu Hause finanziell unterstützen.
Die Länder, die Entwicklungshilfe mit Geld, Rat und Tat auf den Kapverden leisten.
Und zum Schluss der Tourismus. Die Kapverden bieten, wovon Touristen träumen: Sonne, Strand, sauberes, knallblaues Wasser, freundliche Menschen, stabile 26 - 28 Grad, keine politischen oder religiösen Unruhen, und die Menschenrechte werden respektiert. Bislang wächst die Tourismusbranche 11 % pro Jahr. Es werden neue Hotels und Flughäfen gebaut.
Hieraus ergibt sich ein Dilemma: die Kapverden haben kaum Süßwasser, die Touristen wollen aber Swimmingpools und tägliches Duschen. Doch dieser Widerspruch wird mit Meerwasserentsalzungsanlagen gelöst. Der Betrieb und Unterhalt dieser Anlagen ist sehr teuer. Doch in den Hotels bezahlen dies die Touristen. Ich hoffe, dass das Know-how, um die Anlagen zu bedienen, an Kapverdianer weitergegeben wird, so dass in absehbarer Zeit auch die Bevölkerung davon profitiert.

Die Verbesserung der Schulbildung auf den Kapverden wird es der Bevölkerung ermöglichen, das erforderliche technische und touristische Wissen zu erwerben. Durch eine Schulpartnerschaft wie diese hier wird das unterstützt.
Arne Lund
14.11.2006