Integration von Kapverdianern in Hamburg im Spiegel narrativer Interviews
1. Einleitung
Integration ist ein täglicher Streitpunkt und erreicht einen immer höheren Stellenwert in der gesellschaftspolitischen Debatte. Die Berichterstattung in den Medien beschränkt sich fast ausschließlich auf Meldungen gescheiterter Integration. Wie kann Integration richtig funktionieren? Das Thema wird uns noch die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre beschäftigen, da alleine in Hamburg laut statistischem Bundesamt 45,3 % der unter achtzehn jährigen Bevölkerung MigrantInnen sind. Integration ist somit ein aktuelles sowie ein Zukunftsthema. Deshalb haben wir, der Gemeinschaftskundeleistungskurs des Gymnasium Farmsen, es uns zur Aufgabe gemacht, dieses Thema genauer zu untersuchen. Unsere Fragestellung lautete: Wie zeigt sich Integration in Lebensläufen von MigrantInnen?
Durch das zwanzigjährige Jubiläum der Schulpartnerschaft mit der Schule Liçeum Ludgero Lima in Mindelo auf den Kap Verden war es nahe liegend, dass wir uns speziell mit den Kap Verdianern in Hamburg beschäftigten. Durch narrative Interviews mit einigen Kap Verdianern jeder Altersklasse haben wir versucht uns unser eigenes Bild über Integration zu machen.
2. Zur Methode: Was sind Narrative Interviews?
Narrative Interviews sind eine Form der qualitativen Sozialforschung. Im Gegensatz zu quantitativen Interviews, bei denen 2000 Menschen befragt werden und nur eine Statistik entsteht, zielen narrative Interviews auf Erzählungen einzelner Personen über eigene erlebte Geschichten ab. Damit ein Erzählfluss zustande kommt, wird ein Grobthema vorgegeben zu dem sich die Befragten äußern können. Vorteile dieser Interviewmethode sind die gültigeren und bedeutungsvolleren Informationen die man im Gegensatz zu einem standardisierten Interview erhält. Des Weiteren sind diese Informationen im Regelfall umfassender, weil sie nicht durch vorgegebene Fragen eingegrenzt werden. Natürlich bringt auch diese Form des Interviews Nachteile mit sich, die unter anderem darin bestehen, dass die unterschiedliche Qualität und die eigene Logik, denen die Geschichten meistens unterliegen, die Vergleichbarkeit einschränken.
Der Vorteil eines narrativen Interviews im Gegensatz zur statistischen Datenerhebung besonders in Bezug auf die Frage der Integration ist, dass eine individuelle Integrationsleistung an der Biografie des Befragten sichtbar werden kann.
Wir trafen sechs männliche Interviewpartner jeweils einzeln in einem kapverdischen Cafe, einem kulturellen Treffpunkt vieler Kapverdianer in Hamburg. Hier werden Feste gefeiert, das beliebte Oril gespielt und portugiesisch bzw. das Kapverdische Kreol (Krioulo) gesprochen, die eigentliche Nationalsprache. Gerade um die Mittagszeit finden sich dort jedoch auch viele Deutsche ein. Die Gemeinschaft scheint unseren Interviewpartnern sehr wichtig, fast alle engagieren sich in Vereinen, so wie z.B. in einer Fußballmannschaft, einem kapverdischen Verein, im Europäisch-Kapverdischen Freundeskreis oder in jenem besagten Cafe zusammen
3. Untersuchungsergebnis
Als Hauptmotiv der Einwanderung gaben fast alle wirtschaftliche Gründe bzw. die Hoffnung auf ein besseres Leben an, bis auf den in den 70er Jahren vor dem Militär geflohenen Javier (Namen geändert). Der Zielort, Hafenstadt Hamburg, ergab sich aus den Seemannsberufen der Väter. Eine Präferenz Deutschlands als Aufnahmeland wurde von den Interviewpartnern nicht thematisiert
Die guten und zum Teil sehr guten Sprachkenntnisse erwarben sie meist durch den Umgang in der Schule oder mit deutsch sprechenden Freunden. In den Erzählungen der Interviewpartner zeigte sich, dass das Erlernen der neuen Sprache als umso leichter empfunden wurde, je jünger die Interviewten in Deutschland angekommen sind. MigrantInnen der ersten Generation waren beim Erlernen der Sprache offensichtlich mehr auf sich gestellt als die zweite Generation, wie im Falle von Juan deutlich wird, der auf Betreiben des Vaters einen kostspieligen Sprachkurs besuchte. In allen Fällen wurde der Spracherwerb als Bedingung der Integration in Deutschland angesehen.
Alle Interviewpartner besaßen zum Zeitpunkt der Gespräche einen Arbeitplatz. Es fiel auf, dass viele einen kurzen Ausbildungsweg wählten, um ihr Ziel der finanziellen Unabhängigkeit früher erreichen zu können. Dementsprechend üben sie heute vermehrt einfache Berufe aus wie z.B. Kraftfahrer, nur wenige streben eine allgemeine Hochschulreife an.
Insgesamt zeigte sich, dass die Interviewpartner selten oder nie Andersbehandlung aufgrund ihrer Herkunft erfahren haben. Sie gaben an, Deutschland als ein sehr freundliches Land zu empfinden, und gut aufgenommen worden zu sein. Alle Interviewpartner haben die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen.
Darüber hinaus bezeichnen fast alle ihren heutigen Freundeskreis als multikulturell. Allein Rui zählt ausschließlich Menschen kapverdianischer Herkunft zu seinen Freunden.
Manche der Verwandten der Interviewpartner kehrten, insbesondere als Rentner, auf die Kap Verden zurück. Keiner der Jüngeren wollte sich jedoch darauf festlegen auf die Kap Verden zurückzukehren, alle zogen es aber zumindest in Erwägung.
Die Meisten unterschiedlichen Standpunkte wurden bei dem Thema Heimat deutlich. Zwar umrissen alle den Begriff ähnlich, doch sagten Juan, Javier und Clau, dass, sie keines der beiden Länder bevorzugen würden. Ruben, als einziger unserer Interviewpartner in Hamburg geboren, äußerte, dass er sich in Deutschland beheimatet fühlen würde und dass die Kap Verden lediglich ein schönes Urlaubsland seien. Rui dagegen fühlte sich mehr den Kap Verden zugehörig. Alle Interviewpartner äußerten, dass für sie Heimat dort wäre, wo sie sich wohl fühlten. Dies ist bei der Frage nach einer Identität besonders interessant. Wir beschäftigten uns in Folge dessen mit dem Begriff der Leitkultur bei Bassam Tibi, der 2001 eine national übergreifende Leitkulturdebatte anregte, in der er vorschlug, dass allen Einwanderern eine europäische Identität im Gegensatz zu einer nationalen angeboten werden müsse, um erfolgreiche Integrationspolitik zu betreiben. Diese Identität basiere auf der Idee eines der Aufklärung verpflichteten Wertekonsenses von MigrantInnen und Einheimischen.
4. Fazit
Abschließend ist zu sagen, dass alle Interviewpartner sich typischen Integrationsproblemen, wie z. B. sprachlichen Hürden, gegenübersahen, doch diese alle ohne nennenswerte Probleme überwanden.
Bis auf Ruben, kamen unsere Gesprächspartner zwischen ihrem siebten und dem zwanzigsten Lebensjahr nach Deutschland und haben inzwischen alle die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Allen ist jedoch das Ausleben kultureller Traditionen sehr wichtig. So werden kapverdianische Speisen, Getränke und Feste besonders zelebriert. Insgesamt ergibt sich ein ausgewogenes und harmonisches Bild und wir gewannen den Eindruck, dass wir alle unsere Interviewpartner als Beispiele einer gelungenen Integration bezeichnen können.
Dies kann mit daran liegen, dass unsere Interviewpartner schon sehr lange in Deutschland leben und Kapverdianer in Hamburg zudem eine sehr kleine Gruppe darstellen und somit einem besonderen Integrationsdruck unterliegen. Parallelgesellschaften sind unter solchen Bedingungen kaum möglich.
Als einen weiteren Grund erkannten wir einen Wertekonsens, der nicht in Form einer europäischen Identität entstehen musste, sondern schon vielmehr vorhanden war.
Die Ergebnisse der Interviews dürfen jedoch nicht verallgemeinert werden, da unsere Interviewpartner aus einer relativ organisierte Gemeinschaft von MigrantInnen stammen und somit nur diese Gruppe repräsentieren.
29.10.2006