Das Gesundheitssystem auf Santiago anhand zweier Beispiele

Während unsers diesjährigen Aufenthaltes auf Santiago erkrankte eine einheimische Freundin von uns akut. Unsere Freundin lebt in einem sehr ländlichen Gebiet im Landesinnern am Rande einer Ribeira. Ihr Gehöft hat - wie oftmals üblich - keinen direkten Zugang zu einer Fahrstraße. Die Implikationen, die eine solch abseitige Lage im Krankheitsfall hervorruft, wurden uns bewusst, als wir erfuhren, dass unsere Freundin mit starken Schmerzzuständen im Becken/Nierenbereich in der vergangenen Nacht (gestützt von ihrer Schwester) zuerst zu Fuss zur Strasse gehen musste, um von dort mit einem eilig herbeigerufenen privaten Aluguer zur örtlichen Sanitätsstation zu gelangen.

Diese Station war in der betreffenden Nacht offenbar völlig überlastet. Wir erfuhren, dass zehn Patienten in einem Raum mit fünf Betten lagen. Abgesehen von einer Nachtschwester war beim Eintreffen unserer kranken Freundin keine ärztliche Erstversorgung gegeben. Erst am folgenden Morgen erfolgte eine Augenscheinnahme durch den inzwischen eingetroffenen Arzt. Auf Grund fehlender technischer/diagnostischer Möglichkeiten war eine Basisuntersuchung unserer weiterhin unter starken Schmerzen leidenden Freundin nicht möglich, sodass eine Überweisung für das Hospital in Praia ausgestellt wurde (zum Glück hatten wir einen Mietwagen und konnten sofort losfahren).

Am Hospital auf dem Plateau in Praia angekommen, war für unsere Freundin zunächst Warten angesagt. An mehreren Eingängen (deren einzelne Bedeutung sich für uns nicht erschlossen hat) hatten sich bereits lange Schlangen mit wartenden Patienten und deren Angehörigen gebildet.

Erst nach einiger Zeit wurde unsere Freundin aufgerufen und „verschwand“ in einen Gang, der sie zu einem Behandlungsraum führen sollte. Zwei Stunden später kam sie (zwischenzeitlich sichtbar geschwächt) zurück und informierte uns, dass sie nunmehr auf die Ergebnisse der Untersuchung warten müsste. Diese Untersuchung bestand lediglich aus einer Blutanalyse. Trotz weiterhin starker Schmerzen wurde ihr weder ein Bett noch eine sonstige Liegemöglichkeit zur Verfügung gestellt. So warteten wir gemeinsam auf den Treppenstufen vor dem Hospital. Nach längerer Zeit erkundigte sich unsere Freundin nach den Untersuchungsergebnissen (dass dies wiederum Wartezeit in Anspruch nahm, sei hier nur am Rande erwähnt) und kam schließlich mit einem Zettel zurück, auf dem - neben Laborwerten- ein Medikament (offensichtlich ein Antibiotikum) verordnet wurde. Ihr wurde gesagt, dass sie sich mit dieser Unterlage wieder in die örtliche Sanitätsstation begeben sollte.

Unsere Rückfragen, warum wir das Medikament nicht sofort in einer Apotheke in Praia kaufen könnten, führten trotz Wörterbuch und der Mithilfe eines ebenfalls mitgekommenen Freundes zu keinen Ergebnissen. So fuhren wir wieder zurück. Immerhin, so dachten wir, würde unsere Freundin auf Grund der Unterlage vom Hospital endlich behandelt und (zumindest) medikamentös versorgt. So lieferten wir Sie - inzwischen war es 17.00 Uhr- wieder in der örtlichen Krankenstation ab und, da sie aufgenommen wurde, verabschiedeten uns.

Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass unsere unverändert unter Schmerzen leidende Freundin noch am Vortag bei Einbruch der Nacht nach Hause geschickt wurde. Das Medikament wurde erst am nächsten Morgen (!) zur Abholung ausgegeben. Eine Krankheitsdiagnose wurde zu keinem Zeitpunkt gestellt.

Von diesem völlig unkoordinierten Vorgehen ziemlich schockiert, wurde uns wieder bewusst, was unser auf Santiago lebender Freund erzählt hat:

Dessen einheimischer Bekannter wurde auf Grund von unspezifischem Beschwerden nach wochenlanger örtlicher Behandlung in das Hospital in Praia eingeliefert. Die dort vorgenommenen Untersuchungen und Behandlungsmaßnahmen sind uns nicht bekannt. Bekannt ist uns hingegen, dass er letztlich in einem Zimmer zusammen mit weiteren Patienten lag, die offenbar alle an der gleichen Krankheit litten. Unserem Freund wurde nach einigen Krankenbesuchen mitgeteilt, dass die in dem Krankenzimmer liegenden Patienten allesamt lungenkrank wären und „TB“ hätten. Vorsichtsmaßnahmen für die Besucher waren nicht vorgesehen!

Wir wissen nicht, ob die beiden Beispiele repräsentativ sind, befürchten aber, dass die Lage im Gesundheitswesen in Santiago - vor allem für die Landbevölkerung- schlichtweg katastrophal sind. Zwar ist völlig klar, dass eine medizinische Betreuung nach europäischen Maßstäben auf Cabo Verde undenkbar ist und dies auf absehbare Zukunft auch so bleiben dürfte. Jedoch ist es bedrückend, wenn diese nüchterne Feststellung plötzlich einen sehr persönlichen Bezug bekommt, da jemand erkrankt ist zu dem man eine freundschaftliche Beziehung hat.

Jedenfalls mussten wir feststellen, dass die ohnehin geringen personellen und technischen Ressourcen durch mangelnde Koordination und teilweise planloses Vorgehen der betroffenen Stellen weiter in ihrer Effizienz geschwächt werden. Allein durch eine verbesserte Organisation zwischen den Pflegekräften, den Ärzten in den Krankenstationen und dem Zentralhospital wären spürbare Fortschritte im Gesundheitswesen zu erzielen! Leider kam bei uns der Eindruck auf, dass es manchmal an der Einsicht und dem nötigen Engagement der Beteiligten fehlt.

Unsere Freundin ist inzwischen wieder gesundet. Der Bekannte unseres Freundes ist im Hospital verstorben.
Arne Lund
27.6.2005